Blackout, Klimaextreme, Massenanfall von Verletzten: Wie krisenfest ist die Intensivmedizin?

Dass Deutschland bei der Digitalisierung in der Medizin nicht zu den weltweiten Spitzenreitern zählt, ist spätestens seit der Corona-Pandemie bekannt. Aktenberge aus Papier und die Informationsübertragung per Fax gaben in dieser Zeit Anlass zu Spott und Ärger. Ein Vorteil der papiernen Datenwirtschaft lässt sich jedoch nicht leugnen: Im Gegensatz zu digitalen Anwendungen ist sie immun gegen Cyberangriffe und bleibt auch bei großflächigen Stromausfällen nutzbar. Wie anfällig Kliniken für solche Störungen sind, und wie gut sie auf andere krisenhafte Situationen – wie etwa einen Massenanfall von Verletzten bei Naturkatastrophen – vorbereitet sind, wird ein Schwerpunktthema auf der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) sein, die vom 14. bis 16. Juni 2023 in Berlin stattfindet.

Ohne Strom keine Intensivmedizin: Von Überwachungsgeräten über die Bildgebung bis hin zu lebenserhaltenden Beatmungsmaschinen – die Intensiv- und Notfallmedizin ist auf eine kontinuierliche und verlässliche Stromversorgung angewiesen. Alle Krankenhäuser in Deutschland verfügen daher über eine eigene Notstromversorgung, um ihre Patienten auch dann nicht im Stich lassen zu müssen, wenn das öffentliche Netz keinen Strom mehr liefert. „Allerdings können Stromausfälle damit oft nur kurzfristig überbrückt werden“, sagt M.Sc. Carsten Hermes, Tagungspräsident und Sprecher der Sektion Pflege der DGIIN. Wie eine Umfrage des Deutschen Krankenhausinstituts (DKI) vor wenigen Monaten ergeben hat, ist nur rund jedes fünfte Krankenhaus in der Lage, Stromausfälle von einer Woche oder mehr zu überbrücken. Ebenfalls rund ein Fünftel der Häuser kann eine Notstromversorgung nur für wenige Stunden aufrechterhalten. Die Mehrheit der Kliniken – rund 60 Prozent – liegt dazwischen und kann sich für wenige Tage selbst versorgen. „Dabei müssen viele Häuser aber den Umfang der Patientenversorgung deutlich reduzieren oder können lediglich eine Notfallversorgung sicherstellen“, betont Hermes unter Verweis auf die DKI-Umfrage.

Zwar wird die Gefahr eines Blackouts in Deutschland insgesamt als gering betrachtet. Zu den möglichen Ursachen für großflächige Stromausfälle zählen jedoch unter anderem Naturkatastrophen – die im Zuge des Klimawandels voraussichtlich zunehmen werden – und Cyberattacken, deren Zahl und Aggressivität bereits seit etlichen Jahren stark zunimmt. „Hackerangriffe stellen eine große Bedrohung für die Patientenversorgung dar“, sagt Professor Dr. Uwe Janssens, Generalsekretär der DGIIN. Teilweise müssten Operationen abgesagt und Notaufnahmen geschlossen werden, bis der Schaden behoben sei. Konventionelle Sicherheitssysteme hielten den Attacken oft nicht mehr stand, neuere Lösungen setzten auf Künstliche Intelligenz zur Erkennung von Schadsoftware. „Wir befinden uns hier in einer Art Wettrüsten mit den Hackern“, so Janssens.

Seit 2022 ist ein wirksamer IT-Schutz für Krankenhäuser der kritischen Infrastruktur gesetzlich vorgeschrieben. Dieser kann zum Beispiel mit dem branchenspezifischen Sicherheitsstandard B3S umgesetzt werden, den die Deutsche Krankenhausgesellschaft in Abstimmung mit dem BSI entwickelt hat, und dessen Einhaltung seit dem 1. Mai dieses Jahres kontrolliert wird. Um den ständig steigenden Anforderungen gerecht zu werden, werden jedoch erhebliche finanzielle und personelle Mittel benötigt, die nicht allen Kliniken zur Verfügung stehen. „Bei der Zuweisung der Fördermittel ist es in den vergangenen Monaten immer wieder zu Verzögerungen und Abstimmungsproblemen gekommen“, sagt Janssens. Auch personelle Engpässe würden eine rasche Umsetzung der Sicherheitsvorgaben erschweren. In der Folge konnten viele Kliniken die Vorgaben bis zum 1. Mai nicht vollumfänglich umsetzen – ihnen drohen nun Bußgelder. „Die Zeitspanne, die für die IT-Ertüchtigung angesetzt wurde, war von vorneherein viel zu knapp bemessen“, so der DGIIN-Generalsekretär.

Ein eher klassisches Szenario, das Krankenhäuser über die Kapazitätsgrenzen hinaus belasten kann, ist ein Massenanfall von Verletzten oder schwer Erkrankten, etwa durch Naturkatastrophen, durch Industrie- oder Zugunfälle, aber auch durch Terroranschläge. Auch während der vierten Welle der Coronapandemie stieg die Zahl der schwerkranken Infizierten so stark an, dass es regional zu Engpässen bei der Intensivversorgung kam. „Damals griff das Kleeblatt-Prinzip, das bereits während der ersten Infektionswelle aufgebaut wurde, um Patientenverlegungen bundesweit zu koordinieren“, erläutert Janssens. Die Akteure und Strukturen des Kleeblatts werden auch derzeit wieder genutzt, um an der Verlegung von Patientinnen und Patienten aus der Ukraine mitzuwirken. Sie stehen im direkten Austausch mit dem Emergency Response Coordination Centre (ERCC), dem Krisenreaktionszentrum des EU-Katastrophenschutzes. „Zentrale Strukturen wie diese sind unerlässlich, wenn rasch und überregional reagiert werden muss“, sagt Janssens. Viele Katastrophenszenarien spielten sich jedoch regional, lokal oder – wie im Falle eines Brandes – sogar im Klinikum selbst ab. Hierfür müssen Kliniken selbstständig Notfallpläne erarbeiten und regelmäßig aktualisieren. „Die meisten Kliniken haben solche Pläne. Entscheidend ist jedoch, dass die Mitarbeitenden dazu regelmäßig geschult werden und mit den Inhalten dieser Pläne vertraut sind“, sagt Janssens. Um im Ernstfall reibungslose Abläufe gewährleisten zu können, wären regelmäßige und kostenintensive Übungen notwendig, in denen verschiedene Katastrophenszenarien durchgespielt werden. „Die Kosten hierfür müssen jedoch von den Kliniken selbst getragen werden – ein enormer Aufwand, den Kliniken in Zeiten knapper Mittel und Personalmangels verständlicherweise scheuen“, so Janssens.

Was es braucht, um die Krankenhäuser für die Zukunft gut aufzustellen, diskutieren Expertinnen und Experten der DGIIN im Rahmen ihrer Pressekonferenz anlässlich der Jahrestagung der DGIIN am 7. Juni 2023 von 11.30 bis 12.30 Uhr.

 

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Sabrina Hartmann
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