Intensivmedizin goes green – DGIIN rückt Nachhaltigkeit auf Intensivstationen in den Fokus
Einwegartikel, umweltbelastende Substanzen und Geräte mit hohem Stromverbrauch – die Intensivmedizin ist einer der medizinischen Fachbereiche mit der problematischsten Umweltbilanz. Weil es gilt, kritisch kranken Menschen die medizinische Versorgung zukommen zu lassen, die sie brauchen, wurde der Ressourcenverbrauch bislang nur wenig hinterfragt. Doch das ändert sich derzeit: Sowohl international als auch innerhalb der deutschen Intensivmedizin gibt es Bestrebungen, besonders klimaschädliche Routinen zu identifizieren und nach medizinisch gleichwertigen, aber klimaschonenderen Alternativen zu suchen. Auch die Deutsche Gesellschaft für Internistische Intensivmedizin und Notfallmedizin (DGIIN) setzt sich vielfach mit dem Thema auseinander. So hat die AG Nachhaltigkeit eine Umfrage zur Nachhaltigkeit in der Intensiv- und Notfallmedizin gestartet. Erste Ergebnisse zeigen: 90 Prozent der Beteiligten halten Nachhaltigkeit in ihrem Arbeitsbereich für sehr wichtig und wichtig. Rund zwei Drittel sehen jedoch sehen keine Ansätze oder Modelle der Klinikleitungen, die Nachhaltigkeit zu stärken. Wie die Intensiv- und Notfallmedizin nachhaltiger werden kann, ist deshalb eines der zentralen Themen der diesjährigen Jahrestagung der DGIIN, die vom 14. bis 16. Juni 2023 in Berlin stattfindet.
Wenn es um die Emission von Treibhausgasen geht, lässt der Gesundheitssektor sogar Schifffahrt und Flugverkehr hinter sich: Obwohl letztere als Umweltsünder sehr viel bekannter sind, liegen sie mit 2 bzw. 3 Prozent der globalen Treibhausgasemissionen deutlich hinter dem Gesundheitssektor, der für über 4 Prozent verantwortlich ist. „In Deutschland ist der Anteil mit 5,2 Prozent der CO2-Äquivalente noch einmal etwas höher“, sagt Professor Dr. Matthias Kochanek, Präsident elect der DGIIN und Mitglied der AG Nachhaltigkeit in der DGIIN. Dabei werden nicht nur direkte Emissionen aus Gesundheitseinrichtungen berücksichtigt, sondern auch indirekte Emissionen, die durch Strom, Wärme, Kühlung und Materialverbrauch inklusive der Liefer- und Entsorgungsketten entstehen. „Die DGIIN befasst sich derzeit intensiv mit der Frage, wie die Intensiv- und Notfallmedizin als besonders ressourcenintensiver Bereich zukünftig nachhaltiger werden kann“, betont Professor Dr. Christian Karagiannidis, Präsident der DGIIN. So erarbeitet die Fachgesellschaft derzeit beispielsweise eine Leitlinie zum Thema „Nachhaltigkeit in der Intensiv- und Notfallmedizin“.
Die DGIIN hat dafür die „AG Nachhaltigkeit“ gegründet, die es sich zum Ziel gesetzt hat, die Möglichkeiten der Ressourcenschonung speziell im Intensivbereich auszuloten und zu fördern. Denn einige Fragen stellen sich hier mit besonderer Dringlichkeit – etwa die nach einem sparsameren Einsatz oder klimafreundlichen Ersatz von Anästhesiegasen oder die weit in den ethischen Bereich weisende Frage nach der Sinnhaftigkeit von Therapien am Lebensende. Derzeit verschafft die AG sich durch eine Online-Befragung einen ersten Überblick darüber, wo deutsche Kliniken in puncto Nachhaltigkeit stehen. Klinikangehörige im Bereich der Intensivmedizin konnten bis Anfang März per Fragebogen rückmelden, welche Rolle das Thema Nachhaltigkeit an ihrem Arbeitsplatz bereits spielt, welche konkreten Ansätze zur Ressourcenschonung es gibt, wo sie Hürden für eine rasche Umsetzung sehen und welche Ideen sie selbst für einen nachhaltigeren Arbeitsalltag haben.
Erste Ergebnisse der Umfrage unter Intensiv- und Notfallmediziner*innen zeigen: 90 Prozent der Beteiligten halten Nachhaltigkeit in ihrem Arbeitsbereich für sehr wichtig bzw. wichtig. Rund zwei Drittel sehen jedoch sehen keine Ansätze oder Modelle der Klinikleitungen, die Nachhaltigkeit zu stärken. Das größte Potential für Nachhaltigkeit im eigenen Arbeitsbereich sahen 53 Prozent der Befragten im Bereich des Müllmanagements, in der Reduktion von Einwegmaterialien (36 Prozent), im Energiemanagement (36 Prozent) sowie im Narkosegas-Management (7 Prozent).
Die Ergebnisse der Umfrage werden derzeit detailliert ausgewertet, auf der DGIIN-Jahrestagung sollen sie intensiv vorgestellt und diskutiert werden.
Der Deutsche Ärztetag hat sich bereits 2021 dafür ausgesprochen, dass das deutsche Gesundheitswesen bis 2030 klimaneutral werden soll. „Für dieses ehrgeizige Ziel müssen sämtliche Beteiligten zusammenarbeiten – auch und gerade in der Intensivmedizin. Hier ist sowohl das ärztliche als auch das pflegerische Personal gefordert“, sagen die DGIIN-Tagungspräsidenten Professor Dr. Stefan John, Leiter der Intensivmedizin am Klinikum Nürnberg, und M.Sc. Carsten Hermes, Sprecher der Sektion Pflege der DGIIN. „Dabei gilt es auch, die nicht-medizinischen Bereiche des Krankenhauses in den Blick zu nehmen“, betont Victoria König, Tagungskoordinatorin der DGIIN. Wie komplex und vielgestaltig das Thema ist, zeigt ein Positionspapier, das die „AG Klimawandel“ der Bundesärztekammer im vergangenen Sommer vorgelegt hat. Darin wurden zehn Handlungsfelder identifiziert – vom Energie- und Wasserverbrauch über Abfall, Transport, Gebäudebau und -management bis hin zu Ernährung, Verwaltung und Einkauf. „Auch der Dialog mit externen Akteuren wie Medizinprodukteherstellern, Pharmaindustrie, Gesundheits- und Forschungspolitik muss gesucht werden“, so die beiden Tagungspräsidenten John und Hermes.
Die DGIIN wird sich deshalb auch im Rahmen ihrer diesjährigen Jahrestagung intensiv mit der Nachhaltigkeit in der Intensivmedizin beschäftigen. „In einem Symposium diskutieren wir beispielsweise, wie sich die Abfallvermeidung forcieren lässt und wie speziell der pflegerische Bereich zur Nachhaltigkeit auf Station beitragen kann“, sagt Professor Kochanek, der das Symposium mit dem Titel „Let´s go green“ moderieren wird. Ein weiterer Beitrag wird sich mit den neuen intensivmedizinischen Herausforderungen befassen, die der Klimawandel mit sich bringt. „Der menschliche Einfluss auf Umwelt und Klima ist keine Einbahnstraße“, betont Kochanek, der auch Präsident elect der DGIIN ist: Wetterextreme, eine erhöhte Allergen- und Schadstoffbelastung sowie neue Infektionskrankheiten wirkten direkt auf die Gesundheit des Menschen zurück.
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